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WERNER SCHIMPL - MEILENSTEINE

an der Grenze der künstlerischen Freiheit
„Am Grat der Machbarkeit von Kunst im Sinne der Freiheit der Kunst.“
Werner Schimpl

„Grenzverschiebungen“: Über die Kunst Werner Schimpls
Wenn man ein bestimmendes und leitendes Motiv für die künstlerische Arbeit Werner Schimpls benennen wollte, müsste man wohl auf die Begriffe der Grenze bzw. der Grenzverschiebungen verweisen. Thematisch wie auch die Wahl der Darstellungstechniken, d. h. die medialen Mittel des Wahrnehmens, des „Sehens“ und Darstellens, also der materiellen und visuellen Manifestation – auch in Form installativer Inszenierungen – „provozieren“ meist mediale, kulturelle, soziale und auch juristische Grenzen und Tabuierungen, um „verborgene“ Ebenen (z. B. Kontrollmechanismen hinter scheinbaren Freiheiten, Unsichtbares unter der Oberfläche des Sichtbaren etc.) durch oft nur „minimale“ Grenzverschiebungen bewusst zu machen.

Worin aber liegt die „Logik“ der Grenze, der Grenzziehung? Folgt man Leonardo da Vinci, dann gibt es in Wahrheit keine Grenze, nichts eindeutig voneinander Abgegrenztes, und nach Hegel befindet man sich, wenn man eine Grenze zieht, ja immer auch auf der anderen Seite der Grenze – denn eine Begrenzung ist undenkbar ohne ihre beiden Seiten: Jede Abgrenzung ist sowohl eine Ein- wie auch eine Ausgrenzung, jede Grenzziehung hat ein Dies- und ein Jenseits der Grenze.

Dies gilt in George Spencer Browns „Formenkalkül“ („Laws of Form“) bezeichnenderweise sowohl für die „Logik der Logik“ wie auch für jede Gestaltungstheorie: Draw a distinction! Aber wer einen Unterschied macht, d. h. eine „Form“ bzw. eine Abgrenzung „setzt“, hat damit eben immer auch zwei Seiten dieser Form bzw. Grenzziehung! Die Definition von „Erlaubtem“ setzt Verbotenes voraus, Sichtbares macht anderes unsichtbar!

Die grundlegende Frage ist in diesem Sinne – ob thematisch oder gestaltungstheoretisch bzw. formal –, wo diese „Grenze“ gezogen wird. Was findet sich eingeschlossen, was ausgeschlossen? Was ist (wird) sichtbar, was ist (wird) unsichtbar? Damit aber stellt sich immer auch die Frage, ob nicht hinter jeder Unsichtbarkeit doch etwas zu sehen wäre! Selbst das Medium unserer visuellen Wahrnehmung – Licht –, das wir im Akt des Sehens ja selbst nicht sehen, wird aber von Werner Schimpl sichtbar gemacht. In zahlreichen Arbeiten beschäftigte sich Werner Schimpl mit der Sichtbarmachung jener medialen Mechanismen, die Sichtbarkeiten erst ermöglichen – vom „gewöhnlichen“ Licht bis hin zur Röntgenstrahlung! (Aber selbst mit dem Einsatz der Röntgenstrahlung als Medium der Sichtbarmachung „provozierte“ er die gesetzliche „Grenze“ (Grenzwerte) der radioaktiven Strahlung! Ebenso überschritt er in einem aktuellen Kunstprojekt scheinbar die gesetzliche Grenze zur Benutzung eines bestimmten Materials.) Dieses duale bzw. binäre Prinzip der Grenze bzw. etwas abstrakter ausgedrückt, der Unterscheidung, lässt sich auch auf inhaltlich-thematische Phänomene übertragen, insbesondere wenn „Abgrenzungen“ zwischen „Erlaubtem“ und „Verbotenem“ thematisiert werden. Auch hier zeigt sich, dass allein der Akt des Unterscheidens bereits den Bereich (willkürlicher) Verbotszonen konstituiert. Schon marginale Verschiebungen der „Grenzen“ bedeuten neue Sichtweisen auf scheinbar selbstverständliche Ge- und Verbote.

Mit dieser experimentellen Verschiebung der Grenzziehungen in gesellschaftlichen, kulturellen und auch religiösen (Tabu-)Bereichen wird – wenn auch nicht expressis verbis – die Frage der „Freiheit der Kunst“ selbst thematisiert. Dies geschieht aber nicht im Sinne einer naiven Kunst-Ideologie, nach der Kunst absolut frei sei und sich deshalb jede Tabuverletzung erlauben könne, sondern als kritische Relativierung des scheinbar Selbstverständlichen bzw. oft im Aufweis jener unbemerkten Mechanismen, die sich hinter dem „Offensichtlichen“ verbergen. Die Thematiken reichen hier von Fragen der medialen „Bilderflut“ bis hin zur Materialisierung scheinbar „immaterieller“ Phänomene wie elektromagnetischer Entladungen, von
Wahrnehmungsstrukturen bis hin zu gesellschaftspolitischen oder gar juristischen Fragestellungen, d. h. bis zur Problematik allseits zunehmender Kontrollmechanismen, die vor allem in digitalen Medienzeiten wie Krebsgeschwüre zu wuchern beginnen.

Für Werner Schimpl ist es eine immanente Funktion der Kunst, kritische Modelle gegenüber bestehenden Verhältnissen und Grenzziehungen zu gestalten, auch in dem Sinne, dass diese grundlegende Freiheit der Kunst – nämlich ihre Freiheit (wenn nicht Verpflichtung!) zur Kritik – heute (wieder) von so mancher Seite aus in populistischer Manier unverfroren angegriffen wird. Nach nunmehr einigen Jahrzehnten obskurer konservativer Strömungen überrascht es nicht, dass so manche Freiheit, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts errungen worden war, heute wieder eingeschränkt wird oder gar „verboten“ ist! Für Werner Schimpl muss diesen reaktiven Tendenzen durch Kunst Widerstand entgegengesetzt werden – durch eine experimentelle, kritische Kunst, die es auch wagt, so manche Grenzziehung zu verschieben!
Erwin Fiala, Univ.-Lektor am Institut für Philosophie der Karl-Franzens-Universität Graz
Professor für Mediendesign an der HTBLuVA Graz-Ortweinschule
2023
Termine
Vernissage 14. September 2024, 16:00 Uhr
15. - 30. September 2024, Mi - Fr 11:00 - 18:00 Uhr, Sa 10:00 - 13:00 Uhr
1. - 12. Oktober 2024, Mi - Fr 11:00 - 18:00 Uhr, Sa 10:00 - 13:00 Uhr
Weitere Informationen
Eröffnung mit Kulturstadtrat Dr. Günter Riegler.
Zur Ausstellung spricht Roman Grabner, Universalmuseum Joanneum.

Eintritt frei!
Die Ausstellung kann außerhalb der Öffnungszeiten nach Vereinbarung besucht werden!
Veranstalter: Galerie Sommer
(c) Foto: Werner Schimpl
Veranstaltungsort/Treffpunkt