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Josef Wurm

Torso Tetris
Torso Tetris nennt Josef Wurm seine neue Ausstellung in der galerie GALERIE und kombiniert hierfür nicht nur im Titel die hehre Kunstgeschichte mit der Populärkultur. Tetris ist bekanntlich ein Computerspielklassiker, bei dem sieben Formen aus je vier Quadraten vom oberen Bildschirmrand nach unten fallen und dabei so gedreht und verschoben werden müssen, dass sie am unteren Rand eine lückenlose Reihe ergeben und dadurch verschwinden – Selbstauflösung als Raumgewinn. Der italienische Begriff Torso leitet sich vom altgriechischen thyrsos ab, was übersetzt Strunk oder Stängel bedeutet. Als Torso bezeichnet man einen Körper, dem der Kopf und die Gliedmaßen fehlen, sprich einen Rumpf. Was kann man dem zu folge aus dem Ausstellungstitel schließen? Dass verschiedene Körperteile im Fallen, im Stürzen begriffen sind? Dass sie vom Künstler so angeordnet und verschoben worden sind, dass sie sich selbst auflösen? Aber was genau soll sich auflösen – der Körper oder die einzelnen Körperteile oder eine spezifische Vorstellung von (An)Ordnung und Komposition? Oder geht es vielleicht nur um eine spielerische Sequenzierung und Permutation des Körpers? Dann müsste man fragen, zu welchem Zweck?

Der Körper fungiert im gesellschaftlichen Kontext immer mehr als Statussymbol, das entsprechend des aktuellen Schönheitsdiktums durch Diäten, Drogen, Bodybuilding und plastische Chirurgie geformt, trainiert und verbessert werden muss. Film und Fotografie haben im Verbund mit den Massenmedien eine Körperkultur hervorgebracht, in der ein bestimmtes Ideal normativ vorgeschrieben und von den „Followern“ zwanghaft einzulösen versucht wird. „Der Körper wurde durch die Medien zum Bild und der reale Körper versucht, sich dem Bild anzugleichen, das die Medien von ihm entworfen haben.“ (Peter Weibel) Die Kunst hat die jeweiligen Idealvorstellungen von Schönheit und Proportion spätestens seit der Moderne unterminiert und aufgebrochen. Pablo Picasso, Francis Bacon oder Günter Brus haben das Gegenbild eines gequälten, zerstückelten und aufgerissenen Körpers entworfen und Josef Wurm stellt sich in diese Tradition. Die Fotografie spielte dabei anfänglich eine wesentliche Rolle, denn durch die Großaufnahme und die damit verbundene Möglichkeit, Details hervorzuheben, beginnt die Sequenzierung des Körpers. Der Körper wird visuell in seine Bestandteile zerlegt, wird fotografisch zerstückelt. Die Vereinzelung der Körperfragmente führt zu einer Art visuellen Grammatik des Körpers, zu einer Art Zeichensprache, zu einem Körperalphabet.
„DER KÖRPER, er gleicht einem Satz –, der uns einzuladen scheint, ihm bis in seine Buchstaben zu zergliedern, damit sich in einer endlosen Reihe von Anagrammen aufs Neue fügt, was er in Wahrheit enthält.“ schreibt Hans Bellmer 1934 in seinen Text „Die Puppe“. Die Vorstellung, dass dem Körper ein semiotisches Ausdruckspotenzial entspricht, dass aus ihm geradezu ein Alphabet geformt werden kann, „dass die Körper sprechen, auch das wissen wir seit langem“. (Gilles Deleuze) In der mythischen Überlieferung der alten Griechen zum Beispiel begibt sich der phönizische Königssohn Kadmos auf die Suche nach seiner Schwester Europa, die von Zeus entführt worden ist. Aus Asien nach Europa gelangt, gründet er genau an der Stelle, wo eine Kuh, Europas Doppelgängerin also, vor Müdigkeit niedersank, die Stadt Theben. Um seine Gründung zu sichern, muss er aber erst noch einen Drachen erschlagen. Aus dessen Zähnen, die er in die Erde sät, erwächst jene Brut, die manche Mythologen als thebanische Adelige, andere jedoch als griechische Buchstaben lesen. Die Schöpfung des Menschen geht einher mit der Kreation des Alphabets, wird im Mythos von Kadmos sogar in eins gesetzt. In Wurms Bilder finden sich zu Hauf archaisch anmutende Symbole, zeichenhafte Körperformen, denen man sich am ehesten mit dem Begriff eines Körperalphabetes annähern kann. Es sind anagrammatische Körper, deren Bestandteile wie Variablen in neue Ordnungen gebracht werden, und durch topografische Versatzstücke und kulturgeschichtliche Zitate zu komplexen Figurationen erweitert werden. „I don’t need seven days to create a whole universe.“ schreibt er in einem retrospektiv angelegten großformatigen Werk. Aber welche Welt erschafft Wurm eigentlich?

Das berühmte Frontispiz von Thomas Hobbes‘ Leviathan (1651) zeigt den personifizierten Staatskörper, der aus vielen Einzelpersonen konstituiert wird bzw. diese in sich integriert. Dieses Bild vom Staat als Körper mit einem Haupt, dienenden Gliedern und ausführenden Organen hat sich bis in die Gegenwart gehalten und wurde gerade in totalitären Ideologien instrumentalisiert und mit mörderischer Gewalt exekutiert. Die beiden linken Theoretiker Michael Hardt und Antonio Negri entwickeln in ihren Schriften ein anderes Bild von gesellschaftlicher Strukturierung. Sie brechen den Körper der Gemeinschaft auf und postulieren ein „lebendiges Fleisch, das sich selbst regiert“, ein „neues Fleisch“, ein „amorphes Fleisch, das noch keinen Körper bildet“. Dieser organlose Körper, diese lebendige Fleischmasse ist das, was Wurm als „angry flesh“ in seinen Bildern bezeichnet, als „ANORG“ betitelt und in seinen somatischen Topografien ausführt. Seine Werke sind kritische Gesellschaftsanalysen, die in das Innerste vordringen, in die Eingeweide des menschlichen Zusammenlebens, in die Anatomie sozialer Ordnungen, zu den rudimentären Elementen, die Körper und Schrift konstituieren und dadurch Wirklichkeit festschreiben. Wurm bricht die Konstruktion von Wirklichkeit auf, nimmt ihre Ordnung auseinander, seziert die Verfasstheit von Gesellschaft und legt sie gleich einem aufgeschlitzten Leib offen. Er belässt es aber nicht bei einer schonungslosen und drastischen Vivisektion, sondern entwickelt dem Ausstellungstitel entsprechend durch Variation, Kombination und Permutation neue Konfigurationen. Diese alternativen Kompositionen darf man nicht als Handlungsanweisungen für nonkonformistische Lebensentwürfe oder neue Gesellschaftsordnung missverstehen. In ihnen kommt jedoch die stete Reflexion, der beharrliche Blick unter die Oberfläche und das authentische Begehren, etwas ändern zu wollen, zum Ausdruck, die als Impuls für den Betrachter oder die Betrachterin dienen können. Wurms Werke scheinen etwas zu präfigurieren, das dräuend in der Luft liegt, sich aber noch nicht in Worte fassen lasst.
Roman Grabner, 2018


Vernissage: 10.10.2018 / 19:00
Einleitende Worte: Roman Grabner, Universalmuseum Joanneum
Termine
Vernissage 10. Oktober 2018, 19:00 Uhr
11. - 31. Oktober 2018, Di., Mi., Fr. 13:00 - 18:00 Uhr, Do. 13:00 - 20:00 Uhr, Sa. 10:00 - 14:00 Uhr
1. - 3. November 2018, Di., Mi., Fr. 13:00 - 18:00 Uhr, Do. 13:00 - 20:00 Uhr, Sa. 10:00 - 14:00 Uhr
Weitere Informationen
(c) Foto: Josef Wurm
Veranstaltungsort/Treffpunkt